2024-10-10 Das Ding mit der Dankbarkeit (Teil 2)

Voller Dankbarkeit schlendere ich am Montag nach dem Erntedanksonntag durch die vollen Gänge des Supermarktes. Cashewmus. Mangos. 150 Sorten Käse. Laktosefreie Milch, Haferdrink, Reisdrink, Schokomilch. Süßwaren in Hülle und Fülle. Ich trete an die Fleischtheke. Auch hier: ein Angebot, das keine Wünsche offenlässt.

Mit leuchtenden Augen nimmt das kleine Mädchen vor mir eine Scheibe Lyoner entgegen und steckt sie sich umgehend in den Mund. „Wie sagt man?“, zischt ihr Vater ihr ins Ohr. Das Mädchen schaut und schweigt. Die Verkäuferin lächelt und winkt ab. „Schon gut“, sagt sie nachsichtig. Grimmig schiebt der Vater den Einkaufswagen weiter und belehrt seine Tochter. „Wenn man etwas bekommt, sagt man Danke. Das gehört sich so!“ Das Mädchen presst die Lippen aufeinander.

Gute Manieren sind uns wichtig. Bitte und Danke sagen gehört dazu, diese Worte gelten als Ausdruck von Respekt vor unserem Gegenüber. Machen Manieren dankbar? Das ist die Frage. Manieren können (!) als immer wiederkehrende Satzbausteine dazu führen, dass wir innehalten und dankbar sind. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis – so meine These – sind es Floskeln. Danke sagen macht nicht dankbar. Das kleine Mädchen hat sich gefreut über die Lyoner, definitiv. Der Versuch des erzwungenen Danks durch den Vater ist erstens gescheitert und hat zweitens sicher nicht dazu geführt, dass das Kind sich dankbar gefühlt hat.

„Das war ja lieb von der Verkäuferin, sie hat dir einfach eine Scheibe Wurst geschenkt!“ – Dieser Satz erzwingt keine Handlung seitens des Kindes, er regt aber zur Empathie an. Kinder darauf aufmerksam zu machen, wenn jemand ihnen etwas Gutes tut, führt zu Dankbarkeit. Gleichzeitig können wir vorleben, wie wir selbst uns Menschen gegenüber verhalten, die freundlich zu uns sind.
Dankbarkeit setzt Denken voraus. Reflexion. Erst durch die Wahrnehmung, dass jemand etwas für mich tut – unter Umständen bedingungslos -, kann ich dankbar werden. Freude allein reicht nicht, es braucht diese Metaebene, das Erleben, dass jemand mein Bedürfnis sieht oder mich überrascht, um mir eine Freude zu machen.

Auch als Erwachsene lohnt sich dieser Gedanke. Lasst uns Danke sagen, ja, aber lasst uns auch Danke fühlen! Dazu müssen wir rauskommen aus unserem Egozentrismus und den anderen sehen. Denn nur wer den anderen sieht, kann Dankbarkeit erfahren. 

Diese Gedanken sind entstanden in einem Gespräch zwischen Pfr. Christiane Weis-Fersterra, Pfr. Rolf Fersterra, Hans-Martin Souchon und Britta Blos. Wir danken noch einmal für den spannenden Vormittag!

Die Reflexion über Dankbarkeit ist die Voraussetzung für ihr Empfinden.

2024-10-06 Erntedankfest

Als ich 6 oder 8 Jahre alt war, war das Erntedank-Fest wichtig. Ich erinnere mich an eine Themenwoche im Kindergarten, an geschmückte Klassenzimmer, an gefüllte Kirchen. Meine Eltern haben mit mir einen Erntedank-Frühstückstisch gerichtet. Erntedank war präsent.
Zum Erntedankfest wurde die Vielfalt der landwirtschaftlichen Erträge in die Kirche gebracht und Gott für die reiche Ernte unsere Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht. Im Anschluß wurden die Gaben an bedürftige Mitmenschen verteilt und somit erwuchs daraus aus der Dankbarkeit eine Freude am Geben, am Teilen.

Heute wird Erntedank weniger gefeiert. In den Familien wird selten darüber gesprochen, die Kirchen sind leerer. In den Schulen wird vielleicht noch in der einen Reli-Stunde am Dienstagmorgen ein Bild dazu gemalt. An den Fenstern hängen im Oktober eher gruselige Kürbisse und Geister. Halloween sticht Erntedank. Gib mir was, oder ich spiel Dir einen Streich wirkt eher fordernd als dankbar.

Diejenigen, die in meiner Kindheit Lehrkräfte, Erziehende, Eltern, Pfarrerinnen und Pfarrer waren, sind in einer Zeit aufgewachsen, in denen die Dinge knapper waren. Was knapp ist, ist nicht selbstverständlich. Was nicht selbstverständlich ist, schätzen wir wert. Ohne Wertschätzung keine Dankbarkeit – so schließt sich der Kreis.

Nun wäre es absurd, Dinge künstlich zu verknappen, um wieder dankbarer sein zu können.
Wir können aber zwei Dinge tun: Zum einen können wir diejenigen erzählen lassen, die Knappheit erfahren haben. Wir können uns auf den Gedanken einlassen, dass unsere gesättigten Grundbedürfnisse brandneu sind – gemessen an der Geschichte der Menschheit. Das macht dankbar. Zum anderen können wir den Fokus auf die Dinge lenken, die uns glücklich machen, die uns guttun. Zu überlegen, was uns Freude bereitet, ist eine fabelhafte Grundlage dafür, Dankbarkeit zu fühlen. Und oft können wir dabei feststellen, dass doch einige Bereiche in unserem Leben eigentlich recht gut laufen, auch wenn wir uns über eine Sache gerade ziemlich ärgern. Die Dankbarkeit über das, was gut ist, hilft uns, mit dem, was nicht so gut ist, zurechtzukommen. Dankbarkeit macht resilient.

Weshalb sich Dankbarkeit außerdem noch lohnt und was wir im Alltag ganz konkret tun können, damit wir und unsere Mitmenschen von ihr profitieren können, das besprechen wir in den nächsten Posts.


Diese Gedanken sind entstanden in einem Gespräch zwischen Pfr. Christiane Weis-Fersterra, Pfr. Rolf Fersterra, Hans-Martin Souchon und Britta Blos. Wir danken für den spannenden Vormittag!

Die Reflexion über Dankbarkeit ist die Voraussetzung für ihr Empfinden. Euch, liebe Leserinnen und Leser, laden wir deshalb ganz herzlich dazu ein, eure Gedanken zu unserem Post zu teilen.
Was macht euch dankbar? Empfindet ihr die Menschen um euch herum weniger dankbar als früher? Was bedeutet das Erntedankfest heute für euch? Weshalb ist Dankbarkeit in euren Augen wichtig?