2024-05-24 Über die Angst, enttarnt zu werden                                                         

  • „Ihre Verkaufsstrategie: Von 0 auf 100 mit nur minimalen Kosten!“ *Terminbutton*
  • „Mit meiner Hilfe zu 150% Umsatzsteigerung in vier Wochen!“
  • „Wie ich in nur 34 Minuten mein Masterstudium absolviert habe und weshalb ich jetzt die Welt retten kann.“

Aber was, wenn jemand merkt, dass du das alles gar nicht kannst…?

Wenn man durch die Timeline bei LinkedIn scrollt, könnte man meinen, die Welt strotze nur so vor Kompetenz. So viele fähige Menschen – man fragt sich, wie es überhaupt noch Probleme geben kann.

Mein Leben lang habe ich mich immer wieder mal als Blender gefühlt. Als sei es nur eine Frage der Zeit, bis jemand merkt, dass ich eigentlich gar nicht so gut bin, wie alle denken. In der Grundschule hatte ich weniger Freunde als ich gerne gehabt hätte. Also habe ich vor meinen Eltern so getan, als hätte ich mehr. In der Mittelstufe hatte ich irgendwann mal einen guten Lauf im Fach Deutsch und schrieb zwei Einser am Stück. Fortan galt ich als Germanistik-Koryphäe – ein Status, den ich aufrechterhalten wollte und permanent Angst hatte, jemand könne merken, dass ich eigentlich nicht wirklich schreiben kann. Nach meinem Masterstudium bekam ich meinen ersten Job in einer Firma, in der man bisher wenig Erfahrung mit Hochschulabsolventen hatte. Mein Vorgesetzter hatte große Hoffnungen in mich, da ich ja studiert hatte. (Die Akademiker unter uns wissen, dass ein Studium sicher sehr bereichernd ist, einen aber oft nicht unmittelbar für einen bestimmten Job qualifiziert.) Ich stand also ständig (damals unbewusst) unter einem gewissen Erwartungsdruck und hatte so einige Albträume, in denen ich plötzlich splitterfasernackt vor vielen Menschen stand – enttarnt. Diese Dynamik kann im Extremfall dazu führen, dass man zum Job Hopper wird. Lieber rechtzeitig kündigen, bevor jemand merkt, dass ich ein Blender bin. Bevor ich demaskiert werde. Um jeden Preis den Gesichtsverlust vermeiden.

Weshalb ich darüber schreibe? Weil ich denke, dass sehr viele Menschen dieses Gefühl kennen, auch wenn niemand darüber spricht. „Ich bin gar nicht so gut, wie alle denken – wenn die nur wüssten…“ – der Gedanke macht Bauchschmerzen. Und er macht einsam.

Das Wissen darum, dass das ein menschliches und sehr verbreitetes Phänomen ist, ist auch als Führungskraft wichtig. Die eine Mitarbeiterin leistet nicht zwangsläufig schlechtere Arbeit als die andere, nur weil sie offen über ihre Defizite spricht. Wir sollten unser Team dabei supporten, sich zu öffnen und Raum dafür geben, Zweifel zu äußern. Unser Job ist es, ein Klima zu schaffen, in dem angstfrei kommuniziert werden darf, dass man sich etwas gerade nicht zutraut. Ohne Furcht vor Konsequenzen.

Lasst uns alle eine Spur ehrlicher sein. Zugeben, wenn wir etwas (noch) nicht können. Einräumen, wenn uns etwas Angst macht. Sagen, wenn wir uns gerade mutlos fühlen. Denn mit jedem Menschen, der sich selbst fehlbar zeigt, wird es für den nächsten leichter, dasselbe zu tun. Damit rückt sich allmählich das Bild zurecht.
Und das Schöne ist: Wo Schwächen sein dürfen, da können wir Stärken ganz anders zelebrieren.
Unaufgeregt und unaufgeblasen.

(Britta Blos, Team SCM)